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ich bin ein GNU

Seit reichlich zehn Jahren bin ich jetzt schon GNU-Enthusiast, und irgendwie merke ich gelegentlich, daß sich gewisse Diskussionen über GNU, GNU/Linux und freie Software insgesamt regelmäßig wiederholen. So gesehen scheint dies hier ein guter Platz zu sein, ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema loszuwerden und versuchsweise zu beleuchten, was mich an “freier” Software im GNU-Sinne fasziniert und wieso ich gar nicht anders kann, als Leute vom Sinn dieser Angelegenheit zu überzeugen. Read on…

Irgenwann, es muß um 1995/1996 herum gewesen sein, schob ich eines Abends eine CD und die dazugehörende Start-Diskette von PTS-Linux, einer heute längst verschwundenen GNU/Linux-Distribution, in die Laufwerke meines damals nagelneuen Pentium-133, ohne absehen zu können, was das genau nach sich ziehen würde. Konsequenz: In nur einer Nacht hatte ich unwissentlich und ungewollt, aus einem gewissen Dilettantismus und ebenso einer gewissen Bequemlichkeit heraus (“Handbuch lesen!? Pah!”), sämtliche Daten auf meiner damals mit 200 MB nicht gerade klein bemessenen Festplatte unwiderruflich ins Nirvana geschickt, die vorhandene Windows – Installation ruiniert, aber zumindest GNU/Linux auf der Maschine installiert bekommen (tatsächlich brauchte diese Installation weniger Zeit, als danach fällig wurde, die Windows 95 – Umgebung voll funktionsfähig wieder in Gang zu bringen). Dann war die GNU/Linux – Umgebung für mich über einen langen Zeitraum hinweg eigentlich nur ein Spielzeug, ein Sandkasten, in dem ich entdecken wollte, was das System ausmacht…

… bis ich dann, in einer weiteren Nacht (rückblickend habe ich in diesen Tagen viele wesentlichen Dinge nachts getan…) und einem Anfall von Langeweile, durch die Dokumentation der CD schmökerte. Zunächst stieß ich dabei auf die GNU General Public License oder auch kurz GPL, die rechtliche Grundlage, auf der die Nutzer viele der in GNU/Linux – Distributionen enthaltenen Programme einsetzen. Die GPL ist eine typische Lizenz und insofern relativ trockener Lesestoff. Überraschend für mich: Ich wußte damals schon, daß Linux “frei” in dem Sinne ist, daß sich de facto jeder (ausreichend flotte Anbindung vorausgesetzt) das gesamte System aus dem “Internet” herunterladen und nach Gutdünken installieren kann, die Software also “kostenlos” (“frei wie in Freibier”) ist. Lesen der GPL zeigt: Diese (Kosten-)Freiheit ist zwar ein angenehmer Nebeneffekt, aber ansonsten vergleichsweise uninteressant. Viel wichtiger die insgesamt vier Freiheiten, die die GPL dem Nutzer von, nun, GPL-lizensierter Software bietet:

Im Kern stehen Freiheiten für den Nutzer, die in die Richtung gehen, daß der Anwender beispielsweise Software nach Belieben für alle Anwendungszwecke einsetzen darf, Software ebenfalls nach Belieben an Freunde und bekannte weitergeben, kopieren oder sogar verkaufen kann (gegeben, daß er die ursprünglichen Copyright-Vermerke intakt läßt) , daß der versierte Nutzer sich Software sogar nach eigenen Bedingungen anpassen und verändern kann, wenn er der Programmierung denn halbwegs mächtig ist und weiß, welche Funktionalitäten er benötigt und welche vielleicht eher nicht. Alles in allem also eine entschieden bessere Situation als bei den gängigen Lizenzen für proprietäre Software, die dem Nutzer für gewöhnlich all dies unter Androhung derber Strafen verbietet. Argumentation, warum dies in der GPL genau so und nicht anders ist, findet sich im GNU-Manifest, geschrieben bereits 1985 von Richard M. Stallman. Kern-Aussage für GNU:

Ich glaube, daß es das Gebot der Nächstenliebe verlangt, daß ich ein Programm, das mir gefällt, mit anderen teile, denen es ebenfalls gefällt. Software-Anbieter hingegen wollen die Anwender isolieren und beherrschen, wobei sie jeden Anwender dazu verpflichten, nicht mit anderen zu teilen. Ich weigere mich, die Solidarität mit anderen Anwendern in dieser Weise zu brechen. Ich kann nicht mit gutem Gewissen einen Nichtoffenbarungsvertrag oder einen Software-Lizenzvertrag unterzeichnen.

Damit ich ehrlich bleiben und trotzdem weiterhin Computer benutzen kann, habe ich mich entschlossen, eine genügend große Sammlung von freier Software zusammenzustellen, so daß ich in der Lage sein werde, ohne jegliche nicht-freie Software auszukommen. Ich habe meinen Beruf im AI lab aufgegeben, um dem MIT keinen rechtlichen Vorwand zu bieten, mich daran zu hindern, GNU weiterzugeben.

So pathetisch diese Formulierungen klingen mögen: Die Argumentation, Software legal nutzen zu wollen und trotzdem in der Lage zu sein, brauchbare Werkzeuge mit Freunden und Bekannten nach Belieben tauschen zu können, ist für mich einer der Hauptgründe, GNU zu verwenden und den Nutzern von Computern näherzubringen.

Dazu kommen handfeste technische Gründe, die nicht notwendigerweise für GNU sprechen, wohl aber für offene Standards und offene Systeme, und damit grundsätzlich irgendwie schon in diesselbe Richtung zielen. Wir leben in einem Zeitalter, in dem Rechentechnik, Computer und Software mehr und mehr unser tägliches Leben durchdringen, seien es MP3-Player, Smartphones, PDAs, Digitalkameras und viele andere Dinge. In dieser Zeit ist es erforderlich, daß all diese Gerätschaften in sinnvoller Weise miteinander kommunizieren können, um sicherzustellen, daß für den Nutzer ein sinnvolles Ganzes entsteht. Unglücklicherweise erfordert dies bisweilen die Kommunikation zwischen Geräten und Software verschiedener Hersteller, was nicht immer unproblematisch ist – wie allein das Beispiel Internet schon zeigt:

  • In der PC-Welt relativ verbreitet sind die Office-Anwendungen von Microsoft, also Programme wie Word, Excel und Co. Gern neigen Menschen, die mit solchen Anwendungen arbeiten, dazu, etwa Word-Dokumente (*.doc) per E-Mail an andere Nutzer zu verschicken. Dumm nur: Microsoft Office ist weitestehend (läßt man die Mac-Versionen außen vor) an MS Windows – Betriebssysteme gebunden, welche wiederum nur auf (relativ aktueller) PC-kompatibler Hardware funktionieren. Das ist häßlich sowohl für Nutzer, die aus eigener Entscheidung heraus andere Betriebssysteme (etwa GNU/Linux, FreeBSD, SUN Solaris oder andere) verwenden, weil auf diesen kein MS Office funktioniert und die Word-Dateien dort somit de facto unbrauchbar sind. Damit wird der Nutzer mehr oder weniger gezwungen, eine Version des Windows-Betriebssystems zu kaufen, um sich ein Office kaufen und installieren und dann mit den Daten sinnvoll arbeiten zu können. Das ist unschön, aber noch unschöner: Auf verschiedenen Rechnern (etwa Workstations mit SPARC-Prozessoren) läßt sich kein Windows installieren. Damit sind Nutzer derartiger Systeme entweder gezwungen, sich für den Zugriff auf bestimmte Dokumente einen PC zu kaufen, für den PC ein Windows zu kaufen, für das Windows ein Office zu kaufen. Das kann unmöglich der Weg sein.
  • Instant Messaging – Systeme wie ICQ oder AIM werden immer populärer. Schlecht dabei: Diese Systeme sind weitestgehend inkompatibel zueinander, sprich: ICQ-Nutzer können mit ICQ-Nutzern kommunizieren, aber nicht mit Nutzern des MSN Messengers oder des Yahoo!Messenger – Netzwerkes. Dem Nutzer bleibt somit die Notwendigkeit, sich mit etlichen verschiedenen Clients für verschiedene Systeme herumzuschlagen oder in Multi-Protokoll-Clients wie Miranda Kontakte verschiedener Systeme unter Umständen redundant und in jedem Fall zeitaufwendig zu verwalten. Dabei will der Nutzer eigentlich nur kommunizieren… Man stelle sich vor, ein Hersteller würde Mobiltelefone auf den Markt werfen, mit denen man nur mit Nutzern telefonieren kann, die exakt das gleiche Gerät verwenden. Doch was im “realen Leben” absurd ist, ist in der Welt der IT offensichtlich allgemein akzeptabel.

Offene Standards und Protokolle können hier Abhilfe schaffen, können dafür sorgen, daß die Werkzeuge (die Software) wieder in den Hintergrund rücken zugunsten der Aufgabe, die man damit zu lösen gedenkt, daß Systeme, Anwendungen, Nutzer miteinander kommunizieren können unabhängig davon, ob Windows oder GNU/Linux, ob MS Office oder OpenOffice, ob PC oder Workstation. Üblicherweise jedoch verfolgen Software-Hersteller hier leider andere Konzepte: Wenn der Nutzer etwa durch die Dateiformate (remember *.doc ?) an die Anwendung gebunden wird, desto geringer die “Gefahr”, daß er sich plötzlich umorientiert und zur Konkurrenz wechselt, desto sicherer eine große Installationsbasis und auch zukünftige Umsätze mit Softwarelizenzen, desto geringer das Risiko echten Wettbewerbs. Daß das nicht im Sinne des Nutzers ist, bedarf wohl kaum weiterer Erwähnung.

Auch hier kann offene Software helfen, können von offener Software implementierte Protokolle (wie etwa das Jabber – Instant-Messaging – System) oder Dateiformate wie das auf dem Weg zum Standard befindliche OpenDocument – Format für Office – Anwendungen dafür sorgen, daß im “Internet”, im vernetzten Zeitalter Kommunikation auch in Zukunft möglich sein wird, ohne notwendigerweise mit Konzernen wie Microsoft zu tun zu haben. Das sollte es uns wert sein…

22. Oktober 2005

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