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Blätterwald der (Des)Informationsgesellschaft

Wenn man in der (*hüstel*) IT-Branche arbeitet oder, wie es Volkes Mund wohl formulieren würde, “in Computern macht”, dann bleibt es nicht aus, daß man neben elektronischen Informationsquellen mitunter auch einen Blick in jene monatlichen EDV-Postillen wirft, für deren Lektüre nicht nur ein Web-Browser ausreichend ist, für die man den Gang zum Zeitungskiosk seines Vertrauens antreten muß. Und genau diese Handlung, der physische Erwerb von Zeitungen innerhalb dieses Themenbereichs, gestaltet sich von Monat zu Monat mehr zu einer nervigen Übung, bei der man sich jedes Mal wieder über diesselben Dinge aufregt. Daß sich spätestens mit dem Auftauchen der ComputerBild auch diese Sorte von Zeitungen hin von seriöser Information zu plakativem Schlagwort-Journalismus auf Boulevard-Niveau entwickeln würde, hätte man ja eigentlich absehen können. Entsprechend darf man sich heute, zehn Jahre später, bei der Suche nach Lesenswertem am Kiosk durch einen überwältigenden Schwung an Schmutz kämpfen, durch knallbunt aufgemachte, schon von der optischen Wahrnehmung her jeder Ästhetik konsequente widersprechende Postillen, die sich im Wesentlichen über klare Konzepte zu definieren scheinen:

* Markige Schlagworte auf den Startseiten der Magazine sind immer noch der letzte Schrei. Ganz gleich, ob uns “Unglaubliches” “enthüllt” wird oder uns die Redaktion mit konspirativer Ader in “streng geheime Features” und “nie gesehene Funktionalität” entführt – eigentlich ist es egal, Hauptsache dumm und laut. Daß die “Unglaublichkeit” des Unglaublichen im Allgemeinen nicht länger als ein paar Augenblicke einer kritischen Investigation standhält und die “streng geheimen Features”, mit denen den Käufern MS-Windows-Taschenspielertricks verkauft werden sollen, bei jeder Software mit zumindest halbwegs vorhandenem Anspruch auf Professionalität in der Dokumentation bzw. dem Handbuch zu erwarten sein sollten (dafür gibt es so etwas schließlich), interessiert da augenscheinlich nur noch am Rande.

* Gern gesehen auch in Zeiten omnipräsenter Breitband-Internetzugänge sind DVDs oder CDs mit Software. Auch die kann man den Menschen richtig schön verkaufen – man generiere ein Problem (“Neue Angriffe der Internet-Mafia”) und liefere die Lösungen dazu gleich mit. Natürlich “out-of-the-box” – Produkte, so leicht zu bedienen wie ein Tetrapack mit H-Milch. Daß selbst das beste Schloß nichts nützt, wenn der Nutzer keine Ahnung davon hat, daß er es, um optimalen Nutzen daraus zu erlangen, beim Verlassen seiner Wohnung besser abschließen sollte, tangiert uns doch nicht. Wozu sollten wir Wissen wollen – wir wollen Produkte, möglichst von namhaften Herstellern und möglichst kostenlos! Wir wollen ins Internet, auch wenn es auf unserem Videorecorder schon seit Jahren “12:00” Uhr ist und wir immer noch nicht wissen, wie wir auf unserem CD-Player die Songs unseres Lieblingsalbums in einer genau von uns definierten Reihenfolge abspielen lassen können…

* Und, finally: Wir wollen Spaß. Uns interessiert eigentlich gar nicht, was man mit Computern und artverwandter Technik alles an sinnvollen Dingen anstellen kann. Kreativität geht uns ab, ebenso das Interesse für aktive Kommunikation über Flirt-Chats hinaus, und das Internet interessiert uns eigentlich auch nur wegen eBay, weswegen das Vermitteln von (ähem…) “ebay – Grundlagenkenntnissen” fester Bestandteil einer jeden “ernstzunehmenden” Computerzeitung sein muß. Apropos Grundlagenkenntnisse und Spaß: Wenn wir grad dabei sind, dann wollen wir natürlich auch wissen, wo man am schnellsten und bequemsten illegal Filme, Musik, Software, Bücher “ziehen” kann. Wiederum bevorzugen wir hierbei die an sich teuren, namhaften “Produkte” – lassen wir den Blick von diesem Paradigma, könnten wir ja feststellen, daß sich im Internet auch tonnenweise lohnenswerter Content findet, der völlig legal frei verwendet werden darf. Aber schließlich schwören wir ja auf Qualität, die ist bekanntlich teuer. Und außerdem: Wir wollen doch nichts stehlen. Wir wollen ja nur wissen, wo wir könnten, wenn wir denn wöllten. Und um uns vor den rechtlichen Konsequenzen solcherlei Wollens zu schützen, brauchen wir natürlich auch wieder die bunte Postille vom Kiosk. Die liefert uns so etwas wie den “ultimativen Download-Browser ‘Dark Fox 1.0′”, die Software für das “Böse”, natürlich auch mundgerecht vorgefertigt und auf eine CD für den Massenmarkt gepreßt. Und die “entschlüsselt” uns auch selbst die “fiesesten Hacker-Tricks” und hinterläßt uns in dem wohligen Gefühl, wahrlich wissend zu sein, nachdem wir in den Tiefen unseres Windows an jener kryptischen Kommandozeile dieses tückische, sagenumwobene Tool entdeckt haben – wie hieß es doch noch? teflon? telnet? Irgendwas in der Richtung jedenfalls…

Im Endeffekt bleibt: Die Ecke meines Lieblings-Zeitungsladens, in der sich EDV-Magazine tummeln, unterscheidet sich optisch von Ferne nur noch marginal von anderen Regalen, in denen etwa bunte Blätter seitenweise Nichtigkeiten über das Sternchen und Pseudo-Prominente verbreiten. Daß neben diesen Blättern auch die Magazine des heise-Verlages sowie zahlreiche Entwickler- und “richtigen” Fachmagazine mit etwas mehr inhaltlichem Tiefgang existieren, tröstet da nur bedingt: Es ist verdammt schade, daß man auch in der Computerwelt nicht darauf verzichten kann, einen Massenmarkt mit 08/15-Massenware künstlich und konsequent zu verdummen. Zweifelsohne bringt die neue Technik jede Menge neue Fragen und Probleme mit sich, mit denen man sich als Einsteiger irgendwie auseinandersetzen muß. Vielleicht wird irgendwann auch einmal ein Computer so weit sein, daß er durch Menschen bedienbar wird über eine Benutzerschnittstelle, die eher ergonomisch und physiologisch denn technisch und marketingstrategisch geprägt ist. Vielleicht gräbt das dann endlich all jenen Presse-Scharlatanen das Wasser ab, welches sie einem großen Publikum als Wein verkaufen wollen. Und vielleicht gefriert die Hölle – naja, lassen wir das.

11. März 2006

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