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Sozial ist, was “Arbeit schafft”?

Ich habe mich schon seit dessen Veröffentlichung äußerst schwer getan mit dem Slogan, den Angela Merkel unter ihre Kanzler-Wahlkampf-Plakate gedruckt hat. “Sozial ist, was Arbeit schafft” ? Auch, wenn dann Menschen in den “besten Jahren” ihres Lebens die Aussicht haben, daß die (günstigstenfalls) für sie geschaffene Arbeit leider nie mehr sein wird als ein 1-Euro – Job, daß das damit erarbeitete “Einkommen” flugs von sozialen Hilfsleistungen wie ALG-II abgezogen wird und sie, trotz Arbeit, perspektivisch bedürftige Almosen-Empfänger bleiben werden? Auch, wenn wir jetzt als Land sämtliche “Errungenschaften”, die unserer Marktwirtschaft den Präfix “soziale” eingebracht haben, gern wegwerfen in dem von vornherein völlig aussichtslosen Unterfangen, in Sachen Lohnkosten mitzuhalten mit sogenannten “Niedriglohnländern”, in die es pseudoglobale Unternehmen zwecks Profitmaximierung gern zieht? Auch wenn der Terminus “Sozial ist, was Arbeit schafft”, erschreckend an einen anderen Spruch mit “Arbeit” im Satz erinnert, den die dunkelste Zeit deutscher Geschichte hervorgebracht hat? Die Chance auf “sozial ist, was Perspektive schafft”, haben wir uns damit eigentlich schon von vornherein verbaut.

Was schafft Perspektive? Eine interessanten Denkanstoß dazu habe ich vor ein paar Stunden auf der CCC-Mailingliste wieder einmal gelesen. Das Konzept, das vielleicht nach einer gewissen Einlaufzeit mehr Perspektive schaffen könnte als die gegenwärtigen Versuche, ein brüchiges Sozialsystem durch Rückbau von Leistungen und Hochfahren von Steuern vor dem vollständigen Auseinanderfallen zu retten, stammt von ‘dm-Markt’ – Chef Götz Werner und nennt sich “Unternimm die Zukunft”. Die Idee dahinter, auf wenige Punkte reduziert:

  • Jeder Bürger bekommt ein bedingungsloses Grundeinkommen, bisweilen auch “Bürgergeld” genannt, von etwa 1500,- Euro, für grundlegende Lebensführung, finanziert durch den Staat.
  • Der Staat setzt dazu eine immens hohe Mehrwertsteuer an (im Bereich von 50%), die allerdings als einzige noch existente Steuer bestehen bleibt, während sämtliche anderen, ganz gleich ob auf Einkommen, …, sowie sämtliche anderen staatlichen Subventionen gestrichen werden.
  • Wer einen höheren Lebensstandard will, kann arbeiten und sich Geld zu dem garantierten Monatseinkommen hinzuverdienen.

Auf jeden Fall ist dieser Ansatz ein äußerst interessantes Gedankenmodell: Das derzeit indiskutable, kaum noch irgendwie überschaubare Einnahmen- und Ausgabensystem des Staates würde wieder vereinfacht auf eine Struktur, die auch der mündige Bürger überblicken könnte. Das Bürgereinkommen als gesicherte Grundversorgung würde der Entwicklung kontern, daß Vollbeschäftigung zunehmend Illusion und wachsende Arbeitslosigkeit nur schwer zu vermeiden sein wird, andererseits aber die Automatisierung, die Ausführung von stupiden Arbeiten durch Maschinen im Rahmen technischer Weiterentwicklung, prinzipiell eine gute Sache ist. Überspitzt gesprochen würde dies den Menschen auch die Möglichkeit lassen, in Bereichen arbeiten zu können, in denen sie das wollen, ohne den zwingenden Drang, damit Geld verdienen zu müssen.

Ob der Weg der “Stein der Weisen” oder nurmehr nahe an der Vision eines Schlaraffenlandes ist, bleibt zu diskutieren. Auf jeden Fall aber scheint es ein Gedankenmodell, mit dem man sich zumindest einmal auseinandergesetzt haben sollte.

Mehr Lesestoff dazu:
‘Unternimm die Zukunft’ auf wikipedia
Spiegel-Interview zum Thema mit Götz Werner und dem Steuerexperten Benediktus Hardorp
Bürgergeld auf wikipedia, inclusive Links zu mehreren lesenswerten Grundlagen-Papieren

31. August 2006

Filed under:

german , politics , thoughts