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strangelove reproduction

Im diesjährigen Sommer-Urlaub habe ich mir unter sonnigem, südländischen Himmel endlich einmal die Zeit genommen, mich durch Generation X des kanadischen Autors Douglas Coupland zu schmökern, und, mit einigem Abstand betrachtet, hat mich das Buch schon irgendwie beeindruckt. Nicht, daß Coupland übermäßig tiefe Wahrheiten vermittelt oder man sich nach der Lektüre des Paperbacks irgendwie weiser oder erfüllter fühlen würde. Aber im Grunde genommen, so der Eindruck, ist es dem Autor 1991 gelungen, ein lebendiges und pointiertes Bild zu zeichnen von einer ganzen Generation junger Menschen, denen es fortschreitend schwerer fällt, sich mit der Welt zu arrangieren, die ihnen ihre Vorgänger übergeben haben. Eine Welt, in der man “mit 30 stirbt, um mit 70 begraben zu werden” (so die Überschrift eines Kapitels). Eine Welt, in der es kaum Freiräume gibt, sich der scheinbar allgegenwärtigen Gläubigkeit an Marketing, Verkauf, Geschäft zu entziehen, in der sich Sein und Persönlichkeit über Haben definiert, in der Individualität proklamiert wird und hernach jeder eine Individualität nach Wunsch für ein paar Dollars / Euro von der Stange bekommt – cash’n’carry bis zum Abwinken, mit allem, was so dazugehört. Eine Welt, in der jede folgende Generation mehr unter den Konsequenzen genau dieses Turbo-Konsums ihrer Vorgänger zu leiden hat, in der wir uns derzeit in einen Klima-Kollaps, eine drohende Energiekrise und globalen Terrorismus hineinmanövrieren, ohne zu blicken, daß diese Dinge alle irgendwie miteinander zusammenhängen könnten. Die Konsequenzen, zu denen Coupland seine Protagonisten treibt: Abkehr von all den Idealen, die sie als Jugendliche in den USA der 1970er/1980er mitbekommen haben. Weg von Karrieredenken, Konsum und der Jagd nach materiellen Statussymbolen; hin zu McJobs, zu einer Art modernem Einsiedlertum und einer Kultur der Aussteiger, die nicht mehr teilen wollen, was sie schwerlich akzeptieren können…

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie des Lebens, daß der Titel des Buches sofort, nun, Teil eines gigantischen Medien- und Vermarktungsrummels geworden ist. “Generation X” – plötzlich ein omnipräsentes Label nicht mehr “nur” für eine Gruppe von Menschen mit einer eigenen Art Kultur, sondern nurmehr ein weiteres Werkzeug einer Industrie, eine ganz spezielle Zielgruppe mit ganz bestimmten Wünschen zu erreichen, kommerziell zu bedienen. Generation X überall, für ein paar Jahre, eine kurze Zeitspanne… Dann war scheinbar plötzlich 1994. Mit dem Tod von Kurt Cobain, dem De-Facto – Ende von Nirvana, dem stillen Dahinscheiden der Grunge-Bewegung änderten sich die Dinge. Heute liest oder hört man die Bezeichnung “Generation X” kaum noch; längst scheint sich die Maschinerie der kommerziellen Jugendkultur neuen Themen zugewandt zu haben, wird man mit dem Begriff und dem Gedankengut dahinter eigentlich nur noch dann regelmäßig konfrontiert, hat man als Computer-Nutzer ein Paket wie fortune4all oder fortune installiert – dann bekommt man kurze Snippets aus “Generation X” zur täglichen Inspiration, etwa die teilweise durchaus sinnhaltigen Begriffsdefinitionen, mit denen der Autor den Rand der Buchseiten gespickt hat.

Darüber hinaus und bei aller Unterhaltsamkeit: Richtig deprimierend an Couplands Skizze einer ganzen Generation ist eigentlich, daß eher der (egoistische?) Drang zum Aussteigen durch die Köpfe der Protagonisten geistert, der Wunsch, irgendwo außerhalb “neu anzufangen”, den Rest der Welt und seine Eigenartigkeiten hinter sich zu lassen. Investition von Kraft und Mühe in die Aufgabe, Dinge zu ändern, die wir nicht akzeptieren können oder wollen? Ach wo! An diesem Punkt, letztlich und endlich, zeigt sich die Generation X in persona Andy, Claire und Dag genauso gedankenlos und selbstbezogen wie die Welt, in die sie selbst sich nicht so recht einpassen wollen. Inkonsequenz? Kapitulation vor der Realität? Oder komplette Unfähigkeit, über alle Tellerränder zu blicken, Visionen zu entwickeln und zu vertreten, die weiter tragen als bis zur Rente und einem kleinen Häuschen in Suburbia? So gesehen steht natürlich die Frage, wie es den Nachfolgern ergehen wird, der “Generation strangelove-reproduction” (siehe hier…), aus deren Perspektive die Welt vermutlich nicht viel besser aussehen wird. Aber das ist wohl eine andere Geschichte…

22. Oktober 2005

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