Ende der Unschuldsvermutung
Auch wenn der Text eigentlich anderes aussagt, hoffe ich immer noch, daß heise.de und welt.de nur einem makabren Aprilscherz des Innenministeriums aufgesessen ist. Schon in jüngerer Vergangenheit hat unser verehrter Herr Bundesinnenminister durch Äußerungen von sich reden gemacht, die in einem rechtsstaatlichen System besorgniserregend sind; die akuten Statements indes sollten beim letzten Zweifler die Alarmglocken klingeln lassen:
Zudem philosophierte der CDU-Politiker über grundlegende Änderungen an der Sicherheitsarchitektur, durch die auch die Pfeiler des Rechtsstaates nicht ungeschoren davon kommen sollen. So müsse zunehmend unterschieden werden zwischen der repressiven Strafverfolgung und der präventiven Strafverhinderung. Letztere werde immer wichtiger, “weil die Gefahren so groß sind”. Gegenüber Selbstmordattentätern sei mit dem Strafrecht nicht viel auszurichten. Hier dürfe das Unschuldsprinzip “nicht mehr so einfach” gelten und man müsse “lieber im Zweifel verhindern, dass es Todesfälle gibt”.
Wie so häufig: Der Weg zur Hölle ist voller guter Vorsätze. Und das Ende der Unschuldsvermutung bedeutet eigentlich auch das Ende unserer gesamten Rechtsordnung. Wer ist den potentieller Selbstmord-Attentäter? Der bärtige Mann von nebenan? Der Muslim von gegenüber, der diese fremde Sprache spricht und ohnehin irgendwie “verschlagen” aussieht? Der Computer-Freak aus dem Wohnheim, der sich getraut, seine Maschine für mehr zu nutzen, als nur mit dem jeweils aktuellen Windows-System die jeweils aktuellen digitalen Medien zu konsumieren und bei eBay sinnlosen Müll zu (ver-)kaufen? Der Weblog-Schreiber, der angesichts dieser Entwicklung insgesamt tiefe Sorge empfindet?
Es ist beeindruckend: Die CDU-Nachwuchsorganisation hat erst vor einiger Zeit Interessierte dazu eingeladen, in geselliger Runde den Stasi-Schinken “Das Leben der Anderen” zu sehen (nicht zuletzt mit einem Seitenhieb nach “links” in Richtung einer gewissen, als “Nachfolgerin des totalitären DDR-Regimes” wahrgenommenen Partei), und im gleichem Atemzug sorgt ein Innenminister aus derselben Partei weitestgehend unkritisiert durch die eigenen Reihen dafür, daß die Vision von einem neuen, sehr viel weitreichenderen, sehr viel dystopischeren totalitären Überwachungsstaat auf deutschem Boden langsam, aber sicher Form annimmt. Wir können stolz darauf sein, von der Geschichte einmal mehr absolut gar nichts gelernt zu haben. Da kann einem nur noch schlecht werden.
Andererseits, vielleicht sollte man’s auch positiv sehen: Wenn wir den Terrorismus schon nicht dadurch “besiegen” können, daß wir gewisse soziale und politische Schieflagen auf dem Globus zurechtrücken, dann können wir ihn vielleicht im eigenen Lande besiegen – haben wir erst einmal unsere Gesellschaft und all die Rechte, die wir eigentlich schützen wollen, selbst demontiert, dürften wir für Terroristen weitestgehend uninteressant sein…
Nachtrag: Mehr dazu, umfassend und ausführlich wie immer, hats bei rabenhorst. Lesen.